ein warmes Hallo aus dem Herzen Stuttgarts. Das Jahr 2018 neigt sich dem Ende – Zeit, um einen kurzen Rückblick auf die letzten 12 Monate zu werfen. Die nächsten Zeilen erzählen von unseren Aktionen und den Bemühungen ein Zuhause in Stuttgart zu finden. Sie beschreiben Höhen und Tiefen auf dem Weg, ein foodsharing Café in einer von Konservatismus geprägten Stadt zu eröffnen. Und sie beschreiben größte Freude und tiefste Trauer.

Wir möchten das Jahr mit dieser Nachricht an den Personenkreis abschließen, der uns immer wieder in der Idee bestätigt und unfassbar viel Energie und Kraft schenkt – eine Nachricht an Euch! Wir freuen uns, wenn Ihr Zeit für das Lesen der nächsten Zeilen findet und die Raupe weiterhin im Jahr 2019 begleitet. Schon an dieser Stelle: Danke für Euren Zuspruch, die Unterstützung, das Besuchen bei Aktionen und das Weiterleiten von leerstehenden Räumlichkeiten. Viel Spaß beim Lesen – euer Team Raupe!

Crowdfunding Euphorie und Frühjahrstristesse

Voller Euphorie durch eine erfolgreiche Crowdfunding Kampagne im Winter 2017 starteten wir in das Jahr 2018 mit dem klaren Plan eine Räumlichkeit bis zum Frühjahr zu finden und dann spätestens im Sommer 2018 die Pforten unseres Cafés zu öffnen. Mit einem Artikel des Stadtkinds Stuttgarts im Rücken bespielten wir alle für uns erreichbaren Kanäle mit der eindeutigen Botschaft: Wir suchen eine für uns bezahlbare Gastro-Räumlichkeit in zentraler Lage – ab sofort. Sehr viele Räumlichkeitsvorschläge trudelten daraufhin bei uns ein. Ob Vermieter*innen selbst, Unterstützer*innen, die auf dem Weg zur Arbeit mit dem Fahrrad Leerstand entdeckt hatten oder Vorschläge der Stadt Stuttgart. Mit großer Begeisterung wägten wir für jede Räumlichkeit Pro und Contras ab und hangelten uns von Besichtigungstermin zu Besichtigungstermin. Leider waren entweder die Kosten für die Umrüstung zu einer Gastronomie-Räumlichkeit zu hoch oder es bereiteten uns andere Aspekte Bauchschmerzen. Bis ins Frühjahr hinein war demnach nichts Passendes dabei. Also griffen wir die Gelegenheit beim Schopfe und reagierten auf zahlreiche Eventanfragen, um weiterhin in den Köpfen Stuttgarts zu bleiben und zu beweisen, dass unsere Idee eines foodsharing Cafés funktioniert.

Übermorgen in die offene Gesellschaft

Nach nur kurzer Zeit stellte sich heraus, dass unser Format der Schnippeldisko sehr guten Anklang in Stuttgart findet. Ohne aktiv Werbung für unsere Aktionen zu schalten, sprach es sich schnell herum, dass wir Kochveranstaltungen für größere Personengruppen mit geretteten Lebensmitteln organisieren. Die teilnehmenden Menschen konfrontieren sich dabei aktiv mit verschwendeten Lebensmitteln und interagieren untereinander. So fördern wir einerseits den bewussten Umgang mit unserer Nahrung als auch die Begegnung untereinander, was wir gerade in der heutigen digitalen Zeit als notwendig ansehen. So organisierten wir beispielsweise eine Schnippeldisko mit Umweltminister Untersteller auf dem Marienplatz beim Übermorgenmarkt und machten während des überregional organisierten „Tag der offenen Gesellschaft“ in Kooperation mit dem Staatstheater Stuttgart auf uns aufmerksam. Insgesamt organisierten wir mehr als ein Dutzend solcher Schnippeldiskos und Raupen-Veranstaltungen. Natürlich nutzten wir dabei jede einzelne, um auf unsere Räumlichkeitssuche aufmerksam zu machen.  Im Zusammenhang mit Lebensmittelverschwendung und dem Umgang mit Lebensmitteln sind wir als Verein ein Begriff in und um Stuttgart geworden und werden auch laufend für Veranstaltungen angefragt. Das freut uns sehr und macht uns auch ein klein wenig stolz. Jedoch haben wir nach der letzten öffentlichen Schnippeldisko auch gemerkt, dass all der Aufwand für eine solche Veranstaltung sehr groß ist und wir nach dem Sommer ziemlich ausgelaugt waren. Wir haben uns dazu entschlossen, erstmal einen Veranstaltungsstop auszurufen und keine weiteren Anfragen mehr anzunehmen. Der Grund: Wir würden sehr gerne weiter mit dem Format Schnippeldisko machen, jedoch nicht auf rollenden Rädern sondern lokal an einem Ort. Also konzentrierten wir uns auf die Räumlichkeitssuche und es wurde im Herbst erstmal still um uns.

Knapp vorbei ist auch daneben

Seit August führten wir Verhandlungen mit der Allianz Real Estate GmbH über eine Räumlichkeit in super zentraler Lage. Die Räumlichkeit wurde früher als Imbissbude genutzt. Das war sehr vorteilhaft für uns, da wir so keinerlei Nutzungsänderung für eine Nutzung in unserem Sinne beantragen mussten. Der Preis lag auch in unserem Rahmen und so hatten wir als Team zum ersten Mal keinerlei Bauchschmerzen und waren voller Begeisterung für diese Räumlichkeit. Wir hatten zum Start der Verhandlung auch keine Konkurrenten und konnten auf die Unterstützung der Wirtschaftsförderung Stuttgart bauen. Es sah also alles zunächst sehr rosig aus. Doch die Verhandlungen mit dem zuständigen Projektbetreuer der Allianz sollten sich als sehr zäh herausstellen. Zunächst war im Mietvertrag von einer anderen Mietsumme die Rede als mündlich vereinbart und dann sollten wir auch noch die Kosten für eine Fettverschmutzung, verursacht vom Vormieter, zahlen. Geblendet von der Chance diese Räumlichkeit zu bekommen, war uns das nach einigen Verhandlungsversuchen egal, und wir waren bereit den Mietvertrag zu unterschreiben. Daraufhin wurden wir jedoch erstmal hingehalten – über Wochen. Um dann Anfang November die Absage für diese Räumlichkeit zu erhalten. Die Allianz hatte einen anderen Mieter gefunden, der im Gastrobereich leider mehr Erfahrung als wir vorweisen konnte. Uns wurde die Chance damit verwehrt und eine bekannte Größe Stuttgarts darf sich mit einer neuen Räumlichkeit noch mehr am Markt bereichern – jungen Ideen wird somit das Ausprobieren nicht ermöglicht und Stuttgarts Gastroszene teilt sich unter wenigen Händen auf. Der Umbau in der Räumlichkeit ist nun schon in vollem Gange und jeder Schritt vorbei an der alten/neuen Räumlichkeit tut verdammt weh. Wir wollten nun eine größere Pause einlegen, um uns zu sortieren und eine andere Strategie für die Suche auszuarbeiten. Doch wie es der Zufall so wollte, stießen wir auf einen neuen Leerstand im Herzen des Stuttgarter Westens und kontaktierten die hierfür zuständige Immobilienmaklerin.

Foto Aktionstag Klimagerechtigkeit 2018

Zwei Schüsse in die Luft

Was uns dann Anfang November in Stuttgart West erwartete, übertraf alle Erwartungen. Tatsächlich hatten wir noch nie eine solch schöne und passende Räumlichkeit gefunden. Wände aus Backstein, dunkler Holzboden und hohe Decken – klassischer Altbau mit riesigen Fenstern. Diese ehemalige Filiale einer Bank war wie gemalt für eine Caféräumlichkeit. Nach der ersten Besichtigung des Objekts waren wir also schon komplett von den Socken und sagten der Maklerin zu. Allerdings waren wir bei weitem nicht die einzigen Interessenten. Es gab eine Fülle an Konkurrenzunternehmen, da die Räumlichkeit auch öffentlich ausgeschrieben war. Trotzdem erhielten wir drei Tage nach der Besichtigung den Zuschlag. Natürlich waren wir komplett aus dem Häuschen. Doch wir hatten sogar noch eine zweite Räumlichkeit parallel im Angebot. Hierbei handelte es sich um eine Kooperation mit einer hier ansässigen Diakonie-Pflegeeinrichtung. Ein Café bestand schon, es fehlte lediglich ein Betreiber. In einem ersten Gespräch stellte sich heraus, dass wir die Diakonie-Räumlichkeit mietfrei bespielen dürfen. Lediglich unsere verursachten Nebenkosten sollten wir beisteuern. Zugegeben, die Räumlichkeit war allein von der Einrichtung nicht in unserem Sinne und wir hätten einiges verändern müssen, allerdings ist ein mietfreies Angebot fast unschlagbar. Nun standen wir trotzdem im Team vor der Entscheidung: Kostenlos in eine Diakonieräumlichkeit in Stuttgart Mitte oder in eine traumhaft schöne Räumlichkeit in Stuttgart West.

Wir hatten also die Qual der Wahl und nur einen Tag Bedenkzeit, da die Maklerin der Westräumlichkeit super viel Druck für Vertragsunterschrift gemacht hat. Doch dieser eine Tag Bedenkzeit war einfach viel zu wenig, um uns im 5er Team zu einigen, also benachrichtigten wir beide Parteien und pflegten den ehrlichen Umgang. Und es wären ja keine Raupen-Gespräche, wenn alles glatt gelaufen wäre – also wieder Achterbahnfahrt. Die Immobilienmaklerin entgegnete uns mit Unverständnis und öffnete den Wettbewerb um die Räumlichkeit. Somit hatten wir aufgrund der von uns nicht eingehaltenen Bedenkzeit keine alleinige Einzugsgarantie mehr im Westen. Und wir reden hier von einem Zeitraum von drei Tagen vom Zeitpunkt der Zusage der Maklerin bis zur eingeforderten Vertragsunterschrift. Nunja, also klingelten wir nochmals bei der Diakonie durch, um unsere Entscheidung das mietfreie Angebot anzunehmen, zu verkünden. Doch der Heimleiter teilte uns nun mit, dass er Gespräche mit der Geschäftsführung geführt hatte und die Fläche nun 140 Euro pro Tag für uns kostet. So wurde dann die günstigste Immobilie innerhalb von Sekundenbruchteilen zur teuersten und wir saßen vollkommen fassungslos am Tisch. Innerhalb von 15 Minuten fielen wir also vom Status die Auswahl zwischen zwei Räumlichkeiten zu haben zurück zu den bekannten leeren Händen. Wir waren wirklich sprachlos und komplett niedergeschlagen.

Trockene Tinte ist bedeutungslos

Wir brauchten nach diesem Niederschlag ein paar Tage um uns wieder neu zu sortieren. Wir wollten die zwei Räumlichkeiten nicht einfach so vergessen. Also organisierten wir persönliche Gespräche mit den jeweiligen zuständigen Personen. Die Geschäftsführung der Diakonie war nicht bereit ihr Angebot zu überdenken und argumentierte neben einem Missverständnis in dem ersten Gespräch mit dem wirtschaftlichen Interesse seitens der Diakonie. Somit war die Räumlichkeit für uns Geschichte, da wir nicht in der Lage sind 140 Euro pro Tag für eine Räumlichkeit zu zahlen. Bei der Immobilie im Westen stellte sich heraus, dass wir weiterhin im Spiel sind, nur eben mit Konkurrenz. Davon ließen wir uns aber nicht beirren und erledigten die notwendigen Amtsgänge. Wir erfragten die Qualifikation der Räumlichkeit für eine Gastronomienutzung. Als wir dann hier positive Rückmeldung von Seiten der Ämter erhielten setzten wir die so lang ersehnte Unterschrift. Und kein Konkurrent hatte vor uns unterschrieben. Die Euphorie war im Team tatsächlich gar nicht so groß, obwohl wir doch am Ziel waren – was sollte jetzt noch schief gehen. Also zogen wir uns erstmal zurück und erstellten einen Masterplan für die Eröffnung, die schon im März 2019 hätte stattfinden sollen. Doch dann kam plötzlich nach einer Woche Funkstille die Nachricht der Maklerin, dass sich der Vermieter, ein Großkapitalbesitzer in Stuttgart mit unzähligen Immobilien im Privatbesitz, gerne noch zwei Ergänzungen im Mietvertrag wünscht. Unter anderem die Versicherung, dass wir keine Mietminderung einfordern, wenn im Sommer für 3-4 Monate ein Gerüst vor der Immobilie  wegen Dacharbeiten stehen wird. Das hielten wir zunächst für einen hinterhältigen Zug, da so ein Gerüst ganz schöne Umsatzeinbußen verursachen kann, vor allem wenn vorbeilaufende Menschen nicht mehr wahrnehmen, dass es sich innen drin um ein Café handelt. Also war der Vorschlag von unserer Seite, dass wir gerne bereit sind die Ergänzungen zu akzeptieren, wenn das Gerüst die Sicht aus und in die Schaufenster weitestgehend nicht beeinträchtigt. Die Maklerin verhandelte also nun zwischen Vermieter und uns. Und dann der Schock: Unsere Nachfrage, war wohl zu viel des Guten – die Maklerin verkündete ein Tag später unser Aus! Der Grund waren unsere Verhandlungswünsche und den Zuschlag erhält nun eine Filiale eines deutschen Supermarktriesen, für den wir hier bewusst keine Werbung machen wollen. Auch das fiel uns erstmal schwer zu glauben und wir wussten nicht so recht, ob weinen oder lachen. Zumal die Maklerin uns versicherte, dass der Vermieter eine soziale Ader hat – als Großkapitalbesitzer.

Und nu?

Seitdem herrscht Leere im Team Raupe Immersatt. Doch vorenthalten wollten wir euch unseren Leidensweg bei der Räumlichkeitssuche nicht. Trotz einem Jahr Anstrengung und zahlreicher Aktionen konnten wir uns leider kein persönliches Weihnachtsgeschenk machen. Doch einig sind wir uns für das kommende Jahr: Aufgeben kommt nicht in Frage! Wir werden also auch 2019 mit der Raupe Immersatt weitermachen . Mit frischem Wind in den Fühlern und einer anderen Strategie. Wir lassen uns nicht unterkriegen von einem trägen Stuttgart. Wir werden mit kreativen Aktionen zurückkommen. –Das erste foodsharing Café Deutschlands wird in Stuttgart eröffnen. Schreibt uns also weiterhin gerne, wenn ihr Leerstand in der Innenstadt Stuttgarts seht, erzählt euren Freundinnen und Freunden von unserem Vorhaben. Gemeinsam schaffen wir das im nächsten Jahr, da sind wir uns sicher. Herzlichen Dank für all euren Zuspruch, die Energie, Liebe und Unterstützung in der letzten Zeit. Ihr seid großartig. Mit Euch im Rücken ist das Aufstehen nach den Niederlagen ein Leichtes. Danke, Danke, Danke!

Lisandro, Maike, Simon, Jana und Max